R u s s l a n d

Auf russischem Boden 

In Samara an der Wolga, am 11.September 2019 

 

Warum habe ich eigentlich angenommen, dass, wenn ich einmal die russische Grenze überschritten habe, alles anders sein wird? Es muss wohl am Alter liegen…Jedenfalls war natürlich überhaupt nichts anders. – die gleiche trockene Steppe, der gleiche Wolkenhimmel, immer mit der Androhung von Schauern und der nervige, kalte Wind von der Seite, gegen den man die Maschine schräg anlehnen muss und der besonders beim Überholen von LKW, an Mensch und Maschine rum zottelt. Aber das änderte sich dann auf den 150 Kilometern von der Grenze bis Orenburg doch ziemlich schnell.

 

 

Als ich auf Orenburg zusteuerte und einen Abstecher durch ein Dorf machte, dachte ich bei dem Namen Orenburg und solchen Häusern, hier müssen die Deutschen wieder mal mitgemischt haben. Stimmt aber nicht. Die Stadt wurde vor 250 Jahren von Russland als Außenposten und „Bollwerk gegen die Horden Zentralasiens" gegründet.

 

Den Schlafsaal im Hostel hatte ich für 5€ für mich alleine. Die KP-Parteizentrale. Das Rauschen in den Lüftungskanälen aber auch.

 

Es ist eine sehr gute Straße nach Samara, auf der es keine Ortsdurchfahrten gab. Die spärlichen Ortschaften lagen links und rechts. Zusehens veränderte sich auch die Landschaft. Anscheinend gegen Schneeverwehungen flankierten dichte Waldstreifen, die herbstlich in Rest-grün und gelb leuchteten die Straße und immer mehr Steppe wich Feldern. Die meisten waren abgeerntet, schon umgepflügt oder Wintergetreide leuchtete sattgrün. Nur die Sonnenblumen auf Feldern bis zum Horizont warteten mit hängenden Köpfen auf ihr Ende durch eine Erntemaschine.

 

                                                                                                                                                                                   Nein, das ist noch nicht die Wolga

 

Das ist sie. Das Wasser ist bräunlich aber sehr klar. Es gibt Momente und Orte, da fühlt man sich groß(artig). Die berühmte Wolga ist so einer …

 

In Samara angekommen wühlte ich mich gleich durch die Stadt zu einer Motorradwerksatt, die ich schon vorher im Internet gefunden hatte. Ich wollte mich nur für den nächsten Tag anmelden aber es ging, obwohl schon halb sechs, gleich zur Sache. Ölwechsel mit meinem vorletzten Filter, Ventile einstellen – die Auslassventile hatten schon mächtig Luft und ein paar Kleinigkeiten mehr. Um der Sache mit meinen Klappergeräuschen (immer wenn die Kette zieht) auf den Grund zu gehen, fuhr ich heute nochmal 20 km durch die Stadt dorthin. Ich hoffte, dass etwas anderes bei bestimmter Vibration klappert, hat sich leider nicht bestätigt. Es kommt tatsächlich direkt vom wackelnden Kettenritzel auf der Welle. Wir haben es durch Basteln und meinem Ersatzritzel ein bisschen beruhigen aber nicht aus der Welt schaffen können. Beunruhigend aber nicht hoffnungslos. Und um gleich bei er Sache zu bleiben, heute ging der Motor bei niedrigen Drehzahlen öfters aus. Vielleicht ist die Leerlaufdüse verstopft (?). Vergaser ausbauen bei der Beta ist kein Vergnügen.

 

 

Von Kasachstan, und den Republiken südlich davon, kommend ist der erste Kontakt mit Russland hier in Samara wirklich ein (positiver) Schock. Die alten schönen Häuser sind zum großen Teil sehr schön instandgesetzt. Ich erinnere mich dabei an ein Bild, das ich aus dem Jahre 1969 von Leningrad noch im Kopf habe: Auf dem Newski-Prospekt waren Frauen an einem hohen Gebäude auf Leitern geklettert und spritzten die Fassaden mit einer blass-blauen Wasserfarbe an, über die Fenster drüber weg. Die Zeiten sind wohl vorbei. Die Straßen sind Tipp-Top und pikobello sauber. Die schicken Geschäfte, Cafés und sehr schöne Gaststätten nicht zu vergessen. Und Lebensmittel, von denen ich schon gar nicht mehr wusste, dass es sie gibt. Produkte aus Schweinefleisch zum Beispiel.

 

 

Eigentlich hatte ich einen tollen Plan, wie es weitergehen sollte auf dem Weg nach Hause. Ich hatte mir gedacht, fährst Du die Wolga runter bis kurz vors Schwarze Meer und besuchst mal die Krim. Erstens aber sind es von hier aus über 2.000 Kilometer in die entgegengesetzte Richtung von Hiddensee und außerdem komme ich von dort nicht wieder weg – es sei denn ich fahre die 2.000 wieder zurück, wenn auch nicht auf den gleichen Straßen. Dafür reicht zeitlich mein Visum nicht und ich glaube, angesichts des neuen Problems, die Kräfte meiner Beta auch nicht mehr. Meine? Die Reserven hätte ich noch. Eigentlich wollte ich heute einen neuen Plan haben – hab´ ich aber jetzt um Mitternacht noch nicht. Auch weiß ich noch nicht, wo ich aus Russland ausreisen werde. Die Ukraine, Weißrussland (da habe ich ein Visum) oder mit einem Umweg das Baltikum kommen in Frage. Mal sehen… Übrigens: zum Ölwechsel hatte die Maschine, fast auf den Kilometer genau 50.000 Kilometer runter. Glückwunsch. Ich bin bei 36.000 zu Hause gestartet.

 

 

 

Auf einer Wolga-Insel, deren Namen ich noch nicht rausbekommen habe, 13.09.2019 

 

Weit bin ich nicht gekommen, wollte ich auch nicht. Ich suchte ein ruhiges Plätzchen irgendwo hier an der Wolga. Alle möglichen Wege habe ich abseits der Straßen ausprobiert, aber nirgendwo kam ich ran bis ans Wasser. Hier, wo die Wolga einen Bogen macht, kurz vor TOLJATTI, der Stadt in der Russlands Autoindustrie zu Hause ist, fand ich die Ferienanlage „LADA“. Sie stand wohl zu Sowjetzeiten schon hier aber alles ist neu gemacht.

 

 

Vorher bin ich schon mal über eine Halbinsel und wo der Weg weitergehen sollte, stand ich dann vor diesem verschlossenen Tor. Ich hupte einfach mal frech – und siehe da, Es ging auf, wie von Geisterhand ging das Tor auf. Dahinter: eine Siedlung von Datschen.

 

 

Die Saison ist vorbei aber ein paar Familien sind jetzt fürs Wochenende hier eingetrudelt und haben, nachdem die Sonne untergegangen die Grills angeheizt, was zuerst stank aber jetzt in den Duft von angesengtem Fleisch übergeht. Eben sprach mich der Nachbar an, dass ich eingeladen, in einer Stunde. In der kleinen Kantine hat man mir vorhin Borschtsch und Pelmeni zubereitet. Letztere sind aber nicht „meins“.

 

 

Die Saison ist vorbei aber ein paar Familien sind jetzt fürs Wochenende hier eingetrudelt und haben, nachdem die Sonne untergegangen die Grills angeheizt, was zuerst stank aber jetzt in den Duft von angesengtem Fleisch übergeht. Eben sprach mich der Nachbar an, dass ich eingeladen, in einer Stunde. In der kleinen Kantine hat man mir vorhin Borschtsch und Pelmeni zubereitet. Letztere sind aber nicht „meins“.

                                                                                                                   Auf diesem Stuhl habe ich am ersten Abend die Sonne untergehen lassen

 

Ich komme gerade (00:30) von der Einladung zurück nach einer Party „auf Russisch“, wie ich sie vor fast 50 Jahren in Erinnerung habe und schaffe es, nach einem Tisch voller Futter und rreichlich Wodka und netter und später konfuser werdender Unterhaltung in einer Mischung aus Russisch und Englisch, zurück. Ich will versuchen, wenigstens noch ein paar Bilder auf meine Seite zu laden. Mal sehen, ob´s klappt…

 

Saratov an der Wolga, am 16. September 2019

 

Mal sehen, ob ich heute zum Schreiben und damit auch zum Ende kommen werde. Die ganze Reise habe ich, bis gelegentlich auf ein Bier, alkoholisch abstinent gelebt und nun muss ich in Russland anscheinend alles nachholen…  

Also. Eigentlich wollte ich in Toliatti nur eine Kette kaufen, einbauen und in Richtung Moskau weiterfahren. Daraus wurde dann ein ganzer Reparaturtag. Für die Werkstatt hatte ich eine Empfehlung, die Kette musste ich mir dann aber in einem Motorradgeschäft zehn Kilometer entfernt holen, bekam sogar auch ein passendes Ritzel und ein paar wasserdichte warme Handschuhe. Beim Einbau der Kette stellte sich heraus, dass das untere Pendellager vom Zentralfederbein Schrott ist. Das sind Probleme, bei denen es ohne einen guten Bastler nicht mehr weitergehen würde. Und ich hatte wieder das Glück, bei so einem, der „Aufgeben“ nicht kennt, gelandet zu sein. Ein neues Pendellager (russisch oder chinesische, hatte er. Da es aber zu breit war, kam eine Drehbank zum Einsatz, um meine Teile passend zu machen. 

Das Ritzel passte und kippelt (erstmal) nicht. Also ist die Welle noch in Ordnung. Hätte nach dieser Erkenntnis der Laden nicht schon geschlossen, ich hätte mir noch ein zweites geholt. Die Kette läuft ruhiger aber ein Restgeräusch bleibt und wird wieder stärker werden, wenn auch dieses ausgelutscht ist. Der gute Bastler hatte für das Schlagen der Kette auch keine Erklärung. 

Am Ende holte er noch den eng eingebauten Vergaser raus, in dem sich viel Dreck am Boden angesammelt hatte und die Leerlaufdüse war zu.

 

Das pendelnde Ritzel, das nicht pendeln soll. In dem Kugelkopf pendelte das Pendellager,  nicht mehr, weil kaputt und der verdreckte Vergaser

 

Als wir gegen 18:00 fertig waren, kam Valentin auf einer Harley Davidson auf den Hof gerollt und bot mir ein Bett in ihrem Biker-Club an. Zehn Kilometer in Komsomolski Rayon. Das ist zum Beispiel anders, als bei uns nach der Wende. Bei uns musste möglichst alles, was mit DDR zu tun hatte, wie Monumente, Städte- und Straßennamen ausgelöscht werden – die Russen haben damit kein Problem und haben Recht damit: Geschichte kann man nicht auslöschen und man sollte auch leben können damit. Der Club bestand aus einem großen abseitsstehenden Haus mit Mauer drum rum. Es gab ein paar Zimmer in beiden Etagen, Sanitäranlagen, eine Küche. Die waren fertig, der zentrale große Clubraum noch nicht. Obwohl tätowierte Männerwelt – alles war ordentlich und sauber. Hier kommen die 35 Mitglieder sporadisch zusammen oder organisieren sich Partys. Abends luden mich Alex, Sergej und Valentin in ein schönes Restaurant mit Life-Musik an der Wolga ein und anschließend schauten wir kurz in einen anderen Biker-Club rein, wo gegen 23:00 gerade eine Band mit schmerzhaft lauter aber geiler Musik zu spielen anfing. Eine Stunde später würde ich hier keinen Platz zu Stehen mehr finden können. Es war Samstag. .

 

Ich habe mal ´ne Kostprobe mit dem Handy aufgezeichnet, mal sehen, ob Uta wieder so nett ist und es hochlädt an diese Stelle. 

Wohnungstüren aus Stahl, Sergej, Maschinenbau-Ing. hat ´ne Firma und baut Plastikteile als Zulieferer für Maschinenbaufirmen und Valentin war 20 Jahre in Irkutsk, wo´s im Winter minus sechzig Grad gibt und was er so macht, habe ich nicht rausbekommen Jedenfalls sehr nette Kerle, alle drei. Und weil Alex dann beim Losfahren meinte, mit meinen dünnen Klamotten käme ich nicht bis Moskau bei dem Wetter, das gerade auf meiner Route eingebrochen ist, schenkte er mir eine kernige warme Jacke, die über meine braune und dann auch unter meine Regenjacke passt.

Ich kam erst mittags los, weil es heftig regnete und später durch ein paar Schauer war ich dankbar für die warme Jacke. Ich habe immer noch keinen Plan und bräuchte jetzt Egon von der Olsenbande. Ich wollte nicht direkt nach Moskau, weil rund um Moskau und auf meinem Weg dorthin Scheiß Wetter eingebrochen ist. Regen und Sturm bei zehn Grad und das über die ganze Woche. Danach soll´s wieder ein bisschen wärmer werden und der Regen aufhören. Deshalb bin noch weiter die Wolga runter und wo s ging, von der Fernstraße runter.

 

 

 

In den Städten aber vor allem auf den Dörfern gibt es noch sehr viele von diesen schönen alten Häusern, ob aus Holz oder Stein. Die meisten sind bewohnt aber viele auch verlassen und der Zerfall preisgegeben. Schade, gerade die oft sehr schönen Fassaden der Holzhäuser müssten geborgen werden.

 

 

Da ich nicht zurück auf die Schnellstraße und dann noch 150 km nach Saratov brettern wollte, blieb ich in WOLST einer Kleinstadt an der Wolga, mit Zementindustrie in einem Hotel mit dem passenden Namen CEMJENT, das mit den Säulen von außen wie das Theater Putbus aussah, nur größer und innen den Charme von „sowjetisch-alt“ versprühte. Ich quälte mir gerade mühsam was für meinen Reisebericht zusammen, da ging der Bewegungsalarm von meiner Maschine los und als ich runterkam, standen Männer drum rum. Und wie´s so kommt in Russland fand ich mich bei Wodka und Eingemachtem auf einer ihrer Buden wieder. Und was soll ich sagen, es wurde Eins.

 

                                                                                                                                                                            So fing´s an und so endete der Abend

 

So sehen unsere alten und vor allem „neuen Feinde“ also aus.  Offiziere verschiedener russischen Waffengattungen. In Blau die Luftwaffe – u.a. ein Hubschrauber-Pilot, ein Pilot und Fluglehrer für die AN-26 mit 120 Starts im Monat und die beiden in Grün sind bei den Raketen. Sie machen eine viermonatige Weiterbildung am hiesigen Militär-Institut. Brauchen wir aber keine Angst vor zu haben, weil sie sich durch niedrigen Sold von ihrem Land nicht wertgeschätzt fühlen. Im Alter zwischen 40 und 45 gehen sie in Rente. Ich hoffe, ich habe mich mit diesen Interna nicht zum Spion gemacht. Es war jedenfalls ein lustiger Abend.

 

Da fährt keiner bei ROT an der Halbschranke vorbei über die Gleise. Saratov ist anders, als die russischen Städte, durch die ich bisher gekommen bin. In der Geschichte gewachsen, dichter, lebendiger mit vielen Geschäften, Gaststätten, Cafés, Imbiss-Buden und vielen Menschen, die zu Fuß unterwegs sind.  In den kleinen Wohnstraßen stehen noch viele kleine hübsche alte Häuser, so dass man das Gefühl bekommt, man befindet sich in einem Dorf.

 

Woronesch, der 18.09.2019 

 

Ich blieb noch einen Tag länger in Saratov, um vielleicht den letzten Altsommertag zu genießen, denn die mittelfristigen Wetteraussichten sehen überhaupt nicht gut aus. Leider habe ich den halben Tag mit dem Versuch verplempert meine neue Kette samt Ritzel zu beruhigen. Leider bin ich in der Werkstatt an einen Schrauber geraten, der übereifrig aber eben nur mit „Lehrlingswissen“ ausgestattet war und völlig nutzlose Dinge machte, von denen er sich nicht abbringen lassen wollte. Ich gebe es auf und fahre drauflos, solange es geht. Kerze gewechselt und Luftfilter ausgewaschen, wofür ich das Gepäcksystem abbauen musste. Hat auch nichts genützt – der Motor geht immer noch manchmal aus, wenn ich Gas wegnehme. Es blieb aber noch Zeit für einen Bummel durch die Stadt auf dem Moped und zu Fuß.

 

Es gab einen kleinen Geburtstagsschmauß in der Werkstadt – der zweite von links, gab auf seinen 45. Geburtstag einen aus.

Na, und wer ist das da wohl in der Mitte...?

 

 

Zum Abschied von der Wolga saß ich auf einer Terrasse und mit Blick auf die sehr schöne filigrane drei Kilometer lange Betonbrücke und verspeiste ein vorzügliches Wolga-Fischfilet, überbacken. Vielleicht kann mir jemand helfen, die Speisekarte zu verstehen. An solchen Stellen scheitern meine bescheidenen Russisch-Kenntnisse. Leider.

 

 

Bei freundlichem Wetter ging´s heute Los nach Woronesch. Meistens geradeaus. Bis zur ersten Ortschaft nach 250 Kilometern: Felder bis zum hügligen Horizont oder Steppengras. Der Ackerboden ist übrigens in der gesamten Region seit Kasachstan von fast schwarzer Farbe.

 

Der erste Regen dann nieselte nur. Der zweite, bei dem die Temperatur für die restlichen 300 km auf zehn (gefühlte Null) Grad fiel und mir die Sturmböen das Herbstlaub aufs Visier klatschten, durch das ich ohnehin kaum noch sehen konnte. weil es außen und innen vor Allem durch die vorbeisausenden Autos und LKW, mit denen ich nicht mehr mithalten konnte, besprüht war, sich Wasser in den Schuhen sammelte und die neuen „wasserdichten“ dicken Handschuhe durchgeweicht waren. Der dritte, ebenso heftige und kalte Regen gab mir noch die letzten zehn Kilometer vor der Stadt den Rest.

Dafür wurde ich nun belohnt mit einer Suite mit drei Zimmern und dem Charm der 60er Jahre und einem wunderbaren Blick aus dem siebenten Stock auf die bunt beleuchtete Straße im Zentrum von Woronesch. Die jungen Leute an der Rezeption hatten wohl Mitleid mit dem durchgeweichten Opa und spendierten mir das Apartment für den Preis eines kleinen Zimmers.20 Euro. Im Bad summt der Fön über meinen Schuhen und Handschuhen und der Rest ist schon fast trocken.

 

 

Ich habe eben, wie so oft in den letzten Tagen das vor mir liegende Wetter gecheckt und das sieht überhaupt nicht mehr gut aus für den Westteil Russlands einschließlich Moskau und St. Petersburg, wo mein Ehrgeiz und meine Wissbegierde mich noch hinführen sollten. Ich sehe im Gegensatz zur gestrigen Prognose im ganzen Gebiet nur noch zehn Grad und darunter und jede Menge Regen und Sturm. Ich weiß nicht, ob das hier normal ist für September. Als ob das Wetter mich vertreiben wollte aus Russland.

 

Bogorodisk, 250 km südlich von Moskau, am 19. September 2019 

 

Ich wollte eigentlich noch einen Tag in Woronesch bleiben aber das schlechte Wetter treibt mich weiter. Weil mir kalt war, fuhr ich von der Autobahn runter und fand ein Zimmer. Nein eine Gaststätte gäbe es im Ort nicht aber ein Tante-Emma-Laden wäre um die Ecke.

 

Jetzt habe ich wieder einen Plan. Einhundert Kilometer hinter Woronesch hätte ich kneifen und abbiegen können Richtung Weißrussland und Hiddensee. Ich habe den inneren Schweinehund überwunden und bin geradeaus weiter Richtung Moskau gefahren. Die Erinnerung an meinen Job in der Heide, wo ich auch bei Schnee und Eis mit dem Fahrrad durchmusste, hat mir den Tritt verpasst und nicht so zimperlich zu sein. Da war ich noch auf der Autobahn mit leuchtenden Temperaturangeben: 10, 9, 8 Grad und immer wieder mal ein Sonnenstrahl zwischen den Schauern. Es war ein schöner lebendiger Himmel. Die Plastiktüten über den Füßen sahen vielleicht nicht gut aus aber die Füße blieben halbwegs trocken. Das größte Problem ist nicht der Regen an sich sondern, das was die LKW und mein Vorderrad aufwirbeln, noch lange nach den Schauern. 

 

An diesem Buffet in Woronesch habe ich mir noch mein Frühstück aussuchen können und das war dann mein Abendbrot auf Bude, die aber schön warm war. Nur Internet funktionierte nicht. So fuhr ich dann am nächsten Morgen los mit „Paketi“ über den Schuhen, wie Plastiktüten hier heißen, und von denen ich mir im Laden einen Vorrat gekauft habe. Zum Trockenhalten der Handschuhe muss ich mir noch kleinere besorgen.

 

Zweimal bin ich auf Landstraßen abgebogen aber die Landschaft ist die gleiche, wie links und rechts der superfeinen Autobahn. Felder, bunte Wälder und kaum Ortschaften. In anderen Ländern wurde ich immer an Maut-Stellen vorbei gewunken als Motorradfahrer. Hier musste ich löhnen, insgesamt so ungefähr fünfzehn Euro für die 500 Kilometer.

 

                                                                         Mitte: So kündigen sich die Schauer mit Sturmböen an. Oft hatte ich auch Glück und tuckerte vorbei.

 

Hinein in die 15-Millionen-Stadt Moskau, die größte Stadt Europas ...

 

 

Moskau, Samstag der 21. September 2019 

 

Natürlich wollte ich im Zentrum unterkommen, wo was los ist und natürlich wurde es dann schwierig, was Bezahlbares zu finden. Zwei Hostels mit Doppelstockbetten schaute ich mir an hatte dann aber keine Lust drauf, mehrere kleine Hotels waren ausgebucht. Am Ende resignierte ich und logiere nun in einer Dachmansarde für ´nen Haufen Geld. Scheiß drauf. Ich leb´ nur einmal und das auch nicht mehr so lange.

 

 

Heute war erst mal der letzte schöne Tag und da nahm ich mir einen „Spaziergang“ mit dem Motorrad durch die Stadt vor. Klingt blöd, ich weiß, aber wie kann man sich besser einen Überblick über so eine riesige Stadt verschaffen? Es ist ja Samstag heute und die Straßen waren leer. Ich kriege es nicht hin, so wie in allen Städten davor auch, deren Charakter in Bildern auszudrücken. Die Fotos, die ich zu dem Zweck schieße, haue ich dann später alle in Tonne, weil sie nicht das wiedergeben, wie ich eine Stadt empfinde. 

 

        Das linke Gebäude kennt jeder, der in der DDR aufgewachsen ist und von hier aus mache ich morgen eine Dampferfahrt, weil es regnen wird

 

Schon das großzügige und klare und grüne Stadtbild von Samara und Woronesch haben mich überrascht – Moskau setzt mit seiner Lebendigkeit da noch Eins drauf. Die Schneisen für die breiten großzügigen Straßen hat übrigens Stalin in den dreißiger Jahren durch die Stadt schlagen lassen, wobei bestimmt viel altes Moskau verloren gegangen ist. Ich glaube aber, dass die Schäden, die die Tataren dreimal über mehrere Jahrhunderte angerichtet haben, als sie die Stadt plünderten und niederbrannten, waren größer.

 

 

Heute jedenfalls kommen die breiten Straßen dem Verkehr in der Stadt zugute. Die Straßen sind durchweg sehr gut, die permanent durch Spezialfahrzeuge mit Wasser abgespritzt werden, Ampeln alle mit Sekundenanzeigen und gefahren wird - abgesehen von einigen Verrückten - sehr ordentlich. Niemand fährt noch bei gelb/rot, Fußgänger, die gerade einen Fuß auf den Zebrasteifen gesetzt haben, werden akzeptiert, mich ließ man ohne Murren in die Lücken rein, die sich auftaten. Und die Stadt ist blitzblank sauber. Nichts, aber auch gar nichts liegt herum und nicht nur auf den Hauptstraßen. Überall sind extra Spuren für Busse (es fahren auch Elektrobusse), und Taxis abgetennt, oft entgegen den überwiegenden Einbahnstraßen. Man merkt, dass hier ´ne Menge Grips und Energie in den Verkehr investiert werden. Im Gegensatz zum Land, wo noch die alten Schigulis rumräuchern, sieht es hier so aus, als kämen alle Autos gerade aus dem Laden. Hut ab !

 

 

Dann fuhr ich vor den Kremleingang und wurde dreimal davongejagt, als ich meinen dreckigen Straßenhobel irgendwo am Kremleingang abstellen wollte und parkte dann in einer Seitenstraße auf einem Bezahlparkplatz (was übrigens mit dem Handy gemacht wird) – ohne zu bezahlen. Natürlich war ich erleichtert, als sie nach vier Stunden noch dort stand.

 

 

Zu Zeiten, als Rust noch mit seiner kleinen einmotorigen Maschine unbemerkt bis nach Moskau gelangte und auf dem Roten Platz gelandet ist, hätte ich bestimmt ein schönes Foto mit meiner Maschine arrangieren können. Heute geht das nicht mehr.Wie oft haben wir Bilder gesehen mit Paraden und den Genossen Stalin bis Gorbatschow auf der Tribüne vor der Kreml-Mauer. Es ist schon ein erhabenes Gefühl, wenn man sich an so einem berühmten und malerischen Ort wiederfindet.

 

 

Das Kaufhaus  G U M

 

Ja, an das Kaufhaus GUM werden sich viele noch erinnern, selbst die, die es nur vom Hörensagen kannten. Wir haben es Anfang der 80er mit Marianne und Claudie jedenfalls bestaunt. 1893 gebaut, war das Warenhaus „Glawny Universalny Magasin“ für lange Zeit das größte Haus seiner Art in Europa.

 

Marianne hat sich eine „Kleinigkeit“ gewünscht aus dem berühmten Haus aber die Zeiten und das Angebot haben sich inzwischen etwas verändert. Sie trägt doch normalerweise nichts von Giorgio Armani, Karl Lagerfeld, Gucci, Dior und Rolex. Da in den etwa 200 Läden des Gum fast ausschließlich diese Labels etabliert sind, wird daraus nichts. Es sei denn, ich bringe eine kleine Dose Kaviar aus der großen Feinkostabteilung im dritten Gang des Erdgeschosses mit. Da kriegt man schon eine 200 Gramm-Dose für 100 bis 1800 Euro.

 

 

Es ist in seiner Schönheit und besonderen Architektur wirklich was Besonderes, wenn auch nur zum Staunen – wirkliche Kunden gab es wenige. Ich denke aber, dass die großen Firmen diesen Platz besonders zum Repräsentieren nutzen.  

 

 

Als ich glücklich war, dass mein Motorrad nicht abgeschleppt war, schwang ich mich drauf, folgte dem Bogen der Moskwa und stieß auf das moderne Geschäftsviertel mit gewagten Glaspalästen der wirtschaftlichen Macht.

 

 

Während meiner Runde wurde es dunkel

 

 

Letzter Tag in Moskau, Montag, der 23. September 

 

Für den gestrigen Sonntag waren Regen und Sturm angesagt und so kam es auch. Deshalb hatte ich drei Dinge für den Tag geplant: Eine Schiffsfahrt auf der Moskwa, wiedermal Motorradwerkstatt, die mir ein AFRIKA-TWIN-Biker (einer neuen, nachdem HONDA die „AFRIKA“ fünfzehn Jahre nicht mehr gebaut hatte) am Ufer der Moskwa empfohlen hatte, und wusste dass „sein Mechaniker“ am Sonntagnachmittag arbeiten würde sowie Kreuzfahrt mit der Moskauer Metro. Ich schaffte nur die ersten beiden Vorhaben. Es ging schon mal damit los, dass die Innenstadt abgeriegelt war, da der Moskau-Marathon-2019 um 9:00 gestartet war, was ich nicht wusste. Polizei und Stadtreinigung hatten die Straßen gesperrt.  

            Die Schiffstour bei Regen, zürnendem Himmel und einem gelegentlichen Sonnenstrahl. Was die Soldaten damit zu tun hatten? Weiß nicht.

Das war mein Zimmer Nr. zwei, fensterlos.
Das war mein Zimmer Nr. zwei, fensterlos.

Wladimir war ´ne Wucht und nicht nur, weil er (und sein Chef) sich nach vier Stunden Arbeit nur den Liter Öl bezahlen ließen. Trotz Verständigung nur auf Russisch, begriff er sofort alle meiner Erläuterungen zur Vorgeschichte meiner Probleme: Mühseliges Starten am Morgen, sporadische Stopps des Motors beim Gas wegnehmen und meine schlackernde Kette. Er zerlegte nochmal meinen Vergaser, in dem sich wieder Dreck angesammelt hatte, spülte meinen Tank, reinigte beide Spritfilter und stellte mein Leerlaufgemisch etwas fetter ein. Für die schlagende Kette hatte er die Erklärung, dass meine Nabe nicht gummigelagert sei, wie bei ordentlichen Motorrädern und dadurch „hart am Hinterrad hängen würde“ und stellte das Spiel der Kette kürzer ein, kürzer, als ich es immer gemacht habe. Am Ende kriegten die Strippen für die elektrische Tankreserveanzeige auch noch eine neue Steckerverbindung, die verschmort und geflickt war. Der Motor ging bis  jetzt nicht mehr aus und die Kette läuft ruhige. Ich danke Dir, kompetenter, gewissenhafter und freundlicher Wladimir.

 

Im Dunkeln kam ich zurück in mein Hotel, wo man mich inzwischen in ein anderes Zimmer umquartiert hatte, nach vorheriger Absprache. Heute am Montag nochmal das Gleiche. Das lag daran, dass ich ursprünglich nur zwei Tage gebucht hatte und nun zweimal um je einen Tag verlängert habe. Übrigens, wer vorhat, mal nach Moskau zu reisen und im Zentrum wohnen will, sollte sich ordentlich Geld einstecken oder besser gleich die goldene Kreditkarte.                                                                                                                                     

  

Die Moskauer Metro 

 

Das „Metro-Surfen“ fand nun also heute statt, nachdem ich mich ein bisschen schlau gemacht habe im Internet. 1935 in Betrieb genommen, umfasst sie heute ein Netz von 400 Kilometer, das ständig erweitert wird, hat über 200 Stationen, befördert 7-8 Millionen Leute täglich, durchschnittlich im 90-Sekunden-Takt. 

                                                                                                                                                          Alle stehen rechts und lassen Platz für die Eiligen

 

Sie ist nach dem genialen Muster der Berliner S-Bahn mit elf strahlenförmig mit einem Ring darüber ausgeführt, so, dass mit max. zweimal Umsteigen, jede Station erreichen kann.

 

 

Das Innenleben – nicht anders, als Berlin. Graue dumpfe Masse über die Handys gebeugt.
Früher waren die Russen für ihre Liebe zu Büchern berühmt.

 

Ich wollte, neben der Besichtigung der schönsten Stationen auch rauskriegen (als Intelligenztest mal zwischendurch), ob ich das System verstehe und damit umgehen kann. Ich bin nämlich ziemlich hilflos im Gebrauch von öffentlichen Verkehrssystemen.

 

 

Im Internet fand ich eine App „Vandex.Metro“, die wirklich geil ist. Nach dem Installieren, einfach loslegen: Dein Standort wird immer angezeigt, Du tippst auf eine Station und schwupp, hast Du alle Infos, die Du brauchst. Wenn Du dann noch mit Google Maps umgehen kannst, um die Verbindung von „unten und oben“ herzustellen, hast Du´s zusammen mit der intelligent gemachten Beschilderung nach ein bisschen Übung geschnallt. Ich hatte ein Tagesticket, das auch für Busse und Minibusse gilt, für 2,50 Euro. So löst man die Umweltprobleme besser, als mit Fahrverboten und Pampern der Autoindustrie mit indirekten Subventionen, die natürlich der Bürger bezahlt.

 

 

Auf jeder Station gibt es einen Ansprechpartner mit roter Mütze, eine Erste-Hilfe- sowie Polizeistation Es wird nicht gegessen oder getrunken in der U-Bahn und dass die Züge und Stationen blitzsauber sind, ist selbstverständlich in Moskau. 

 

 

So, nun habe ich den Überfluss an Metro-Bildern verbraten und geschnallt, wie man in Moskau U-Bahn fährt.. Hier geht´s dann wieder an die Moskauer Oberfläche. 

 

Von irgendwo bin ich dann ein paar Kilometer zum Roten Platz gelaufen und als es wieder einmal regnete, in die Basilius-Kathedrale „geflüchtet“. So über viele Jahrhunderte „zusammengekleckert“ und wie sie so schön von außen aussieht, so besteht sie auch innen aus unzähligen einzelnen Kapellen, die Personen oder Ereignissen gewidmet wurden.

 

 

Ich bin froh, dass ich trotz des Wetters nach Moskau gefahren bin. Da ich mit dem Motorrad sehr mobil in der Stadt unterwegs sein konnte, war ich auch in äußeren Bereichen, in denen vor allem gewohnt wird. Es mag flüchtig und zu schnell sein, eine Stadt so zu ergründen aber bei der Weitläufigkeit des schönen (ich weiß, Geschmacksache) Baustiles der Stalinzeit, kommt man zu Fuß nicht weit. Normalerweise müsste man für einen Moskaubesuch eine Planung machen, welche Museen man besuchen will, wenigstens für ein Konzert oder Ballett Karten vorher sichern und sich belesen. Habe ich alles nicht gemacht und bin trotzdem glücklich, Moskauer Luft geschnuppert zu haben und zu sehen, wie schön die Stadt ist und wie sauber die Moskauer mit ihr umgehen. Es gibt sicher auch andere Städte, die so viele Restaurants, Cafés, Imbissangebote, Bars und Clubs haben – hier hat mich überrascht, wie geschmackvoll sie gestaltet sind. Auch rustikale Locations sind nicht einfach so zusammengeschludert. 

Diesen kleinen Artikel fand ich und machte mir das manchmal befremdliche Verhalten der Leute auf der Straße verständlicher: Mal anklicken. 

https://ostexperte.de/13-dinge-die-in-russland-anders-sind/  

 

Unter den aktuellen und überraschenden Eindrücken, die ich bei meiner Blitztour durch einen kleinen Teil Russlands gewonnen habe, suchte ich mir im Netz noch mal die Rede von Wladimir Putin vor dem Deutschen Bundestag 2004 raus und kann dringend empfehlen, sich diese (nochmal) anzuhören. Sie ist heute aktueller, als je. Besonders denjenigen empfehle ich, Putins Angebot an Europa anzuhören, die sich durch die hirnwaschende Dauerbeschallung unserer Politiker und ihrer Unterstützer, die Medien, die Köpfe verdrehen und uns Russland zum Feind erklären lassen. Was haben unsere Politiker aus dem Angebot gemacht? Die gleichen Volksvertreter, die damals euphorisch geklatscht haben, lassen heute Soldaten an Russlands Grenzen aufmarschieren und die Straßen Richtung Russland auf Beschluss der NATO „panzerfest“ machen. Das hatten wir schon mal…Russland scheint mir mehr europäischer, als manch anderes EU-Land. So, das musste jetzt mal raus. Das heutige Iran-Statement der ehrenwerten Frau Dr. Merkel und ihrer franz. Und engl. Genossen hat mich dazu veranlasst. Sie schaffen es immer noch, uns die Arschkriecherei in Washington, als unser Heil zu verkaufen. So, das war´s. 

Hier ist die Rede, fängt Russisch an, wechselt dann aber in einer Klarheit in deutsche Sprache, wie ich sie seit R. v. Weizäcker nie wieder von Politikern gehört habe: 

https://www.youtube.com/watch?v=9jyLQmyg9hs 

 

Bis gestern schwirrten mir noch Spielchen mit St. Petersburg, Tallin usw. durch den Kopf. Aber nun lass ich´s mal gut sein und fahre nach Hause. Stefan (Kreibohm) hat mir gestern bestätigt, dass der Sommer und nun auch der Herbst in Westrussland kälter als normalerweise waren bzw. sind. Nahe Null in der Nacht und am Tage 7-8 Grad und dazu der eisige Regen. Ich habe alles an, was ich irgendwie wärmend dabei- und geschenkt bekommen habe, Plastiktüten über meinen „wasserdichten“ Lederschuhen und neuen dicken „ebenso wasserdichten“ Handschuhen machen mein kurioses Outfit perfekt. Nach drei Monaten selten unter +45 Grad muss ja auch wieder ein Ausgleich hergestellt werden. Und meine treue, ach so zart besaitete BETA wird wohl die gut zweitausend Kilometer auch noch durchhalten. Ich sowieso.