Auf dem Kaspischen Meer, am 27. Juni 2019           

 

Die meisten der Weltmeere habe ich ja schon befahren – nun kommt noch ein außergewöhnliches dazu, denn welcher Seemann kann schon von sich sagen, dass er auf dem Kaspischen Meer unterwegs war? 

Es war ein ziemlich stressiger Tag gestern. Ich wusste nur: ein Schiff würde um 8:00 morgens von ALAT, einem Fährhafen südlich von Baku nach AQTAU/Kasachstan gehen. Also 3 Stunden unruhiger Schlaf, Sonnenaufgang über dem Hafen von Baku beim Verlassen der Stadt, Autobahn, Ankunft in Alat 6:30. Eine Gruppe Motorrad- und Radfahrern hatte im Freien übernachtet und bereitete gerade Rührei. Das RoRo-Schiff legte um 9:00 an. Mit ein bisschen „Nachhelfen“ hatte ich um 11:00 endlich die Zusage, dass ich mitkäme und eine Stunde später ein Ticket für 180 $. Abfahrt? – wer weiß…

 

Das Warten in der Hitze verkürzte ich mir mit einem 10-km-Ausritt zum „Schlamm-Vulkan“. Einer kleinen Attraktion der Gegend. Gas treibt wässrig-lehmigen Schlamm an die Oberfläche und bildet diese „Vulkan“-Kegel.

 

 

Um 19:00, also nach 12 Stunden Ausharren in der sengenden Hitze im Hafen und umständlichen Grenz- und Zollabfertigungen, kamen wir an Bord. Die Ladung: 30 Fernlaster, 3 Reisemobile, 6 Motor-, drei Fahrräder, ein nach-China-Wandernder und etwa 50 Passagiere einschl. den LKW-Fahrern, diesen armen Hunden. Abendbrot in der „Passagiermesse“: Hühnchen mit Buchweizen Auslaufen 21:00. Bis in die milde Nacht Klönen mit Passagieren und Besatzung. Ein interessierter Matrose wollte das Morsealphabet in sein Notizbuch geschrieben bekommen

 

Es ist schon extrem, was Leute so machen, je weiter man von den ausgetretenen Touri-Pfaden des Kaukasus kommt: Die Radfahrer: ein drahtiger asketischer Mittfünfziger Marathon-Fan strampelt durch China und will nach Vietnam, der zweite, junge, kommt aus Bayern und will nach Australien und arbeiten dort. Ein frischer junger Mann aus Frankreich, er perfekt Russisch spricht und ein wenig chinesisch, läuft zu Fuß nach China und will dort mit Arbeiten, wahrscheinlich als Sprachlehrer und „Model“ (markante Europäer würden gut bezahlt für Foto-Shootings), seinen Geldbeutel wieder auffüllen. Die Motorradfahrer, zwei Frauen dabei, wollen nach Wladiwostok, mit einer Fähre nach Südkorea und dann, mal sehen … Nein drei Frauen. Eine auf dem Motorrad allein reisende, die ihren Mann zu Hause gelassen hat dafür aber sein Kind unter dem Herzen trägt, wie man so schön sagt, will in die Mongolei. 

 

Was bin ich da doch bescheiden dagegen! Problematisch ist es für alle mit den verdammten Visa. Entweder schwer zu bekommen oder/und einschnürend durch die engen Zeit-Korsetts. Jetzt hätte ich beinahe den Japaner vergessen. Er ist 77, mit dem Fahrrad unterwegs von China, um Freunde in der Tschechei zu besuchen. Er musste mit dem Schiff wieder umdrehen, weil sein Visum für Aserbaidschan nicht OK war. 

 

Mit Charme und wieder etwas „Nachhelfen", habe ich das Glück in einer engen Viermann-Kabine allein zu sein. Ich erinnere mich an die immer präsenten Gerüche auf unseren älteren Schiffen mehr oder wenig ähnlich, immer Dieselduft dabei und der Rest – wer weiß? Hier das Gleiche, nur „intensiver“. 35 Jahre alt und Ist eben kein Kreuzfahrtschiff. Ich muss mal Thomas fragen, ob auf den Ro-Ro-Schiffen, die er in Hamburg mit (meinst alten) Autos belädt, auch die riesigen Heckklappen, hier ein Meter über dem Wasserspiegel, auf See auch immer offenbleibt. Hat jedenfalls den Vorteil, dass das Absaufen im Falle einer Kollision bedeutend schneller vonstattengeht. Ich werde nachher mal die Brücke besuchen und nach dem Funkraum fragen. Den gibt´s natürlich nicht mehr. Seit 2004, als die kommerzielle Funktelegrafie auf See abgeschaltet wurde, nachdem sie Hundert Jahre der Sicherheit und dem Nachrichtenaustausch gedient hatte.

 

 

 

Inzwischen war ich auf der Brücke. Da ich den Chiefmate vorher schon kennengelernt hatte, besuchte ich ihn in seiner 04-08-Wache nachmittags. Trotz der russischen Beschriftung war mir alles vertraut – bis auf die Funkstation in einer Ecke der Brücke. GMDSS-Satellitenkommunikation wurde gerade eingeführt, als ich die Seefahrt 1987 an den Nagel hängen musste.

 

                                                                                                      Kartenraum, FORUNO-Funkstation, Radar und Steuerpult, Anlegen in Kasachstan

 

 

Aqtau/Kasachstan, am 29.06.2019 

 

Um 20:00 Uhr legten wir an, nach einer unglaublich trägen Grenzkontrolle schon an Bord kamen wir um 01:00 mit den Fahrzeugen von Bord, um 03:00 hatten wir die Zollabfertigung hinter und nur noch das Hafentor vor uns. Zum Glück gab es ein kleines Hotel in dem neu gebauten Fährterminal. Die junge Motorradtruppe pennte auf dem Fußboden eines Warteraumes, da sie um 6:00 loswollten. Mit einem Pärchen mit geilem Geländewagen und einer Solo-Reisebusreisenden aus Belgien, die Wodka in ihrer Trinkflasche dabeihatte, saßen wir noch bis die Sonne aufging.

 

 

 

Als ich loswollte, stand der Japaner (77), der mit dem Fahrrad in Japan losgefahren ist und Freunde in der Tschechei besuchen wollte hilflos an der Rezeption. Er dürfe den PC benutzen, habe keine rechte Ahnung von Computer und sein Englisch sei auch nicht gut genug. Ob ich ihm helfen könnte, sein e-Visum für Aserbaidschan online zu beantragen. Na klar. Nach zwei Stunden waren wir nach vielen Hürden durch und er konnte sein Visum innerhalb der nächsten drei Stunden auf der Hotel-Emailadresse erwarten. Die Hürden: 1. Er konnte seine Emails nur auf seinem Mobiltelefon abrufen. 2. Der Computer war ein russischer. 3. Pass scannen mit russischem Menü. 4. Umwandeln der Datei in das geforderte Format. 5. Er wusste von seiner Kreditkarte die online-PIN nicht. Mit meiner Karte schlossen wir den Prozess ab und waren glücklich. Nun ist er inzwischen hoffentlich mit dem nächsten Schiff zum zweiten Mal unterwegs.  

 

 

Der grüne Balken auf dem Bildschirm war das Ziel der Bemühungen

 

 

AQTAU, 80 Kilometer von der Anlegestelle entfernt, liegt zwar nicht auf dem Weg aber am Meer. Vor der mehr als 1.000-km-Strecke durch die fast menschleere Steppe von Kasachstan und Usbekistan bis nach NUKUS (Usbekistan) habe ich ein bisschen Respekt Auf Karte und Google Maps finde ich nur zwei bedeutende Ortschaften und drei Tankstellen. Meine Tankfüllung reicht für 200 km, wenn ich 80 fahre, vielleicht für 250.Da muss ich also noch ein paar Vorkehrungen treffen. Meinen geflickten Heckrahmen wird es freuen! 

Nicht nur die „Kühe“ auf der Straße sehen hier anders aus, sondern auch die Menschen. Mit einem Schlag bin ich unter Asiaten mit schräg stehenden schmalen Augen, breiten Wangenknochen und schönen weichen Gesichtern. Natürlich fällt mir das am meisten bei den Frauen auf. 

 

                                           Wo nehmen sie wohl die Toten für den Friedhof her in dieser gottverlassenen Gegend?

 

AQTAU ist eine sozialistisch wirkende (Öl-) Industrie- und Seebad-Stadt, kurzgefasst. Die Straßen sind breit und zwischen den Wohnblocks oder Gebäuden ist viel Luft. In Ufernähe gibt es viele Hotels und Gaststätten. Am Ufer eine kilometerlange Promenade und davor felsiger Strand aus abgewaschenem Sandstein. Das Wasser kristallklar.

 

Das Kaspische Meer

 

Dieser See wird Meer genannt, weil er mit einer Ausdehnung von 1200 x 450 Kilometer der größte Binnensee der Welt ist, also etwas größer als Deutschland. Er wird von allen Ländern ringsum, vor allem von der Wolga und dem Fluss Ural gespeist. Einen Abfluss hat er keinen. Trotzdem „läuft er nicht über“, da er eine riesige Verdunstungsfläche hat. Mit einigen Schwankungen durch regenreiche oder -arme Jahre und Nutzung durch den Menschen liegt der Wasserspiegel zurzeit 26 Meter unter dem Meeresspiegel. Am Ende der letzten Eiszeit war hier viel „Land unter“. Die Wasserfläche reichte vom Aralsee bis zum Schwarzen Meer.  Im Durchschnitt ist er 200 m tief, an der tiefsten Stelle 1000 Meter. Mit 1,3% Salzgehalt ist er etwa ein Drittel so salzig, wie die Weltmeere, also brackig, und beherbergt auch Süßwasserfische.  Die Kaspische Robbe lebt hier und 150 Fischarten soll es geben. Störe, Heringsarten, Karpfen. Delfine sind ausgestorben. Interessant. 

 

  Kasachstan  

Wie groß das neuntgrößte Land der Erde ist, wird an der 7000 km langen Grenze zu Russland im Norden. Trotzdem leben nur 16 Millionen Menschen hier. Der größte Teil besteht aus Gras- und Waldsteppen. Im Südosten allerdings, wo ich wohl nicht hinkommen werde, weil ich nicht genügend Mukkis für die Entfernungen habe, ist es bergig und landschaftlich wohl sehr abwechslungsreich und schön. Das Land ist reich an Öl, Gas, Metallen aller Farben und Bodenschätzen aller Art. Auch, wenn mein kurzer Eindruck anders ist, es gibt ca. 50.000 Seen, die meistens salzig sind. Interessant sind auch die Temperaturen: im Winter bis -40 und im Sommer locker auch über +40 Grad Celsius.  

 

Der auf Lebenszeit gewählte Präsident des Landes, Nursultan Nasarbajew, trat kürzlich freiwillig nur unter zwei Bedingungen zurück: 1. Straffreiheit für alle Zeiten und 2. Umbenennung der Hauptstadt Astana in Nur Sultan. Toll, was? 

 

Was mich betrifft – ich habe mich hier drei Tage ausgeruht, und mental und praktisch für die nächsten Tage vorbereitet, wie z.B. Kanister für Benzin organisiert (was wohl mein armer Heckrahmen dazu sagen wird) kaputte H4-Lampe besorgt und gewechselt und kommunikative Rückstände aufgeholt. Morgen früh gehe ich auf die ersten 500 km durch die Steppe auf dem Weg nach Usbekistan.  

 

 

Beyneu, 01.07.2019 

 

Der 1. Juli 2017 ist heute, also der 100. Geburtstag unserer Mutter, die 2004 verstorben ist. Aus der Steppe Kasachstans schicke ich ihr meinen Dank in den Himmel, Dafür dass sie mich an einem Sonntag 1946 in magerer Zeit mit zehneinhalb Pfund auf die Welt gebracht hat. Und auch dafür, dass sie mich mit Ziegenmilch, eigenen Hühnereiern, Haferbrei und Lebertran, Pflastern, Schmerzen wegpustend, vor Kälte kribbelnden Händen unter den Achseln wärmend, mit kratzender, selbst gesponnener Schafwolle von eigenen Schafen bestrickend und immer begründet scheltend bis zum 12. Lebensjahr in der Baracke in Friedrichwalde/Uckermark und dann bis zum Abitur am Werbellinsee zu dem gemacht hat, was ich wurde, mehr oder weniger gut geraten. Auch hat sie mir, zusammen mit unserem Vater bis zu ihrem Tode immer ein willkommenes und behütetes Zuhause „zum erden“ bereitgehalten.                      

                                                                                                                                                                                                                                                       Das Bild schickte mir Thomas heute          

 

Heute Morgen verließ ich mein gemütliches Nest am Kaspischen Meer, ausgerüstet mit gefüllten Benzinkanistern Nach 170 km die letzte Tankmöglichkeit in der einzigen Ortschaft unterwegs.

 

Die Überraschung war groß, als sich Pepe (ich nenne ihn mal so, weil ich seinen Namen nicht weiß (oder vergessen habe?). Er, mexikanischen Blutes aus Texas hat sich in Heidelberg eine große KTM gekauft für diese große Tour und will nach vollendeter großer Runde dahin zurückkehren, um sie wieder zu verkaufen. Er fuhr mit der Schiffs-Truppe los. Ein verrosteter 10cm-Eisenstift im Reifen hat ihn getrennt von der Truppe. Der Mantel ist hin und das auch noch in Kasachstan und dort auch noch im Niemandsland. Der englisch sprechende Hotelier bemüht sich. Es gibt keinen passenden, nicht mal gebraucht, in Kasachstan in weniger als 14 Tagen. Als ich abfuhr, war er so weit, nach Tiblissi zu fliegen (Direktflug von Aqtau) und sich einen zu holen.

 

 

Mit meinem Brot fütterte ich in verlassener Gegen einen großen ängstlichen Hund, der sich mit eingeklemmtem Schwanz nicht mehr als 5 Meter näherte und später einen Hirtenjungen, der am Straßenrand mit einer leeren Wasserflasche winkte. Käse und Süßigkeiten hatte ich auch noch. Die weite Gegend kann man nur mit diesen Panorama-Fotos einfangen. Die Straße war hervorragend. Morgen wird das anders.

 

 

Unterwegs immer wieder freilaufende Herden von Kamelen und Pferden. Die sich nicht fotografieren lassen wollen. Kühe finden den Weg nach Hause, um gemolken zu werden; Pferde und Kamele sicherlich, um zu trinken. Es hatte gestern in Aqtau schon fast den ganzen Tag geregnet und heute war es, für mich überraschend, Unterhosen-kalt und ein heftiger Seitenwind zottelte und schubste an mir rum. Hier in dem Nest habe ich eine üble Absteige aber dafür meine zweiten Schto Gramm mit Coca Cola. Von hier sind´s 80 Kilometer nach Süden zur Grenze nach Usbekistan und noch 450 bis in die erste usbekische Stadt NUKUS.